Roads? Where we’re going, we don’t need roads!

Heute ist der 21. Oktober 2015. Viele von euch haben bestimmt schon mitbekommen, dass heute der Tag ist, an dem die Protagonisten Marty McFly und Dr. Emmet L. Brown mit ihrer Zeitmaschine im Film Zurück in die Zukunft II aus dem Jahr 1985 ankommen werden. Zumindest im Film.

Die meisten Meldungen des Tages befassten sich damit, welche Vorhersagen der Film gemacht hat, die wirklich wahr geworden sind: Gibt es Hoverboards, fliegende Autos, Gassi-Roboter oder 3D-Hologramme? Naja, die meisten „Prophezeiungen“ waren wohl eher als humoristisch zu sehen, aber vieles hat sich selbst der Film nicht gewagt zu vorherzusehen, z.B. Hochleistungscomputer in unseren Hosentaschen, das Internet, autonome Fahrzeuge und Casting-Shows mit Dieter Bohlen.

Wir wollen uns aber heute mit der Möglichkeit (oder Unmöglichkeit) von Zeitreisen beschäftigen.
Gleich vorweg: Wenn ihr euch die Frage stellt, ob Zeitreisen möglich sind, ist die Antwort ein ganz klares „jein“: In die Zukunft reisen wir nämlich ständig!

Also, zuerst sollten wir uns mal überlegen, was eine Zeitreise ist. Ich würde sagen, eine Zeitreise ist, wenn man von einem Punkt in der Zeit t_0, zu einem anderen Punkt in der Zeit, t_1 reist.
Das machen wir ja auch ständig.
Wenn wir eine Minute warten, ist es eine Minute später.
Nicht sehr spektakulär.

Spektakulär wäre, wenn wir nur z.B. eine Sekunde warten müssten, damit eine Minute vergeht. Das wäre eine „echte“ Zeitreise. Wenn ihr euch im Buch das Kapitel „Spezielle Relativitätstheorie“ angeschaut habt, wisst ihr, dass das durchaus möglich ist, denn bewegte Uhren gehen langsamer! Die Leute vom Fach nennen das ganze dann Zeitdilatation.

Warum schert sich denn die Natur bitte um die Geschwindigkeit, die wir fahren? Das liegt daran, dass die Natur nicht in Metern und Sekunden misst, für die Natur sind der Raum und die Zeit dehnbare Begriffe. Jedoch die Lichtgeschwindigkeit ist ein universelles Tempolimit, das im ganzen Kosmos gilt. Beide Ansätze sind im Endeffekt gleich valide, entweder man nimmt Raum und Zeit als unveränderlich an, dann gibt man aber eine konstante Lichtgeschwindigkeit auf, oder man verlangt eine konstante Lichtgeschwindigkeit, muss aber dann Raum und Zeit variieren lassen. Das beste Beispiel ist ein Kollege, der im fahrenden Zug eine Taschenlampe anmacht. Für ihn breitet sich das Licht mit c aus. Wenn wir jetzt Ansatz 1 wählen, also rigiden Raum und Zeit, dann hat das Licht, das der Beobachter am Bahnsteig misst, eine Geschwindigkeit von c+v_{\text{Zug}}, ganz logisch. Experimente haben aber gezeigt, dass das eben nicht der Fall ist! Vielmehr messen beide genau die gleiche Lichtgeschwindigkeit c. Nun muss sich für den Kollegen im Zug der Raum verkürzen bzw. die Zeit verlangsamen, damit sie beide die gleiche Beobachtung machen. Warum es sinnvoller ist, ein globales Tempolimit im Universum anzugeben, ist ganz einleuchtend: Die Kausalität. Wenn wir nämlich keine global konstante Lichtgeschwindigkeit haben, so würden (schnell genug) bewegte Beobachter Wirkung und Ursache in verkehrter Reihenfolge messen!

Also waren dann ja die Drehbuchautoren von Zurück in die Zukunft schonmal auf der richtigen Fährte, als sie die Zeitmaschine in einen DeLorean gebaut haben. Im Film muss das Auto \SI{88}{mph} (Meilen pro Stunde) fahren, damit der „Fluxkompensator“ die Zeitreise möglich macht. Das sind ungefähr \SI{142}{km/h}.


Wie schnell müsste man denn nun laut der speziellen Relativitätstheorie sein, um eine Minute (\Delta t = \SI{60}{s}) in einer Sekunde (\Delta t' = \SI{1}{s}) zu reisen? Für die Zeitdilatation gilt

    \[ \Delta t = \gamma \Delta t', \]

    \[ \SI{60}{s} = \gamma \cdot \SI{1}{s}. \]

Also muss \blau{\gamma=60} sein, damit die Gleichung erfüllt ist. Wir kennen die Formel für \gamma:

    \[ \gamma = \frac{1}{\sqrt{1-\frac{v^2}{c^2} } }. \]

Wenn wir das nach v auflösen, erhalten wir

    \[ v = c \sqrt{ 1 - \frac{1}{\gamma^2}} \Rightarrow \blau{v = c \cdot 0.99986}. \]

Oha, um eine Minute in einer Sekunde zu erleben, müssen wir mit \mathbf{99,86\,\%} der Lichtgeschwindigkeit c fahren! (Das wären ungefähr \SI{299710000}{\m \per \s}…)
Aber: Wir haben gesehen, dass die spezielle Relativitätstheorie Zeitreisen in die Zukunft absolut möglich macht. Für uns, die wir mit 99,86\,\% der Lichtgeschwindigkeit fahren, vergeht eine Sekunde, während für die Außenwelt eine ganze Minute verstreicht.


So weit so gut. Was ist denn mit Reisen in die Vergangenheit?
Hier wird es schwieriger. Wir müssten uns schneller als das Licht bewegen, dann würde es sofort gehen. Denn dann würde der Lorentzfaktor \gamma einen negativen Wert annehmen, und wir würden sozusagen eine negative Minute in einer Sekunde vergehen lassen. Nun ist es aber recht schwierig auf eine Geschwindigkeit, die größer als c ist zu kommen. Für Körper mit Masse ist es sogar unendlich schwierig, will heißen man braucht unendlich viel Energie um überhaupt c zu erreichen (wo die Zeit theoretisch still stehen würde).

Aber trotzdem könnt ihr ein Experiment machen, in dem ihr zurück in die Vergangenheit reist, und längst vergangene Ereignisse live miterleben könnt. Stellt euch mal in der Nacht unter den freien Himmel. Kennt ihr das Sternbild Orion? Schaut euch den oberen linken Stern an, er ist der hellste des Sternbilds. Das ist Betelgeuse. Wenn ihr ihn seht, habt ihr gerade so ca. 650 Jahre in die Vergangenheit geschaut! Warum? Weil das Licht diese Zeit braucht, um vom Stern, durch die Galaxie, auf eure Netzhaut zu reisen. Ihr seht also (live) den Stern, wie er vor 650 Jahren war, als in Europa der 100-jährige Krieg und die Pest das Geschehen beherrschten. So ist jeder Blick ins Universum ein Blick in die Vergangenheit. Genau genommen ist auch ein Blick auf euren Bildschirm ein Blick in die Vergangenheit, weil das Licht ca. eine Nanosekunde braucht, um die \SI{30}{cm} zu euren Augen zurückzulegen, aber das ist im Vergleich zu den 650 Jahren vernachlässigbar.

Nicht schlecht. Aber Wenn wir die Galaxie mit unserem Blick verlassen, wird es schnell noch extremer: Wenn ihr ein Teleskop habt, und schonmal die Andromedagalaxie gesehen habt, habt ihr so um die zweieinhalb Millionen Jahre in die Vergangenheit geblickt.
Aber wenn ihr mal so richtig weit sehen wollt, nehmt einen alten Antennen-Fernseher, stellt ihn auf einen Sender ohne Empfang, und schaut euch die „Ameisen“, das schwarz-weiße Rauschen, darauf an. Ein Teil dieses Signals kommt aus dem Weltall. Es ist die kosmische Hintergrundstrahlung, das übriggebliebene Licht des Urknalls, das vor gut 13,5 Milliarden (13 500 Millionen!!) Jahren ausgesendet wurde. Glückwunsch, ihr seht dem Universum bei der Geburt zu.

Noble Neutrinos

Letztes Jahr konnte man das ja noch irgendwie verstehen als Nichtphysiker: Blaue LEDs haben sicher irgendwo in der Industrie eine Anwendung (weiße LEDs ahoi) und Biologen und Chemiker können das Anwendungsfeld der STED-Mikroskopie im Zusammenhang mit dem Chemie-Nobelpreis (Stefan Hell, schon wieder so ein Physiker) ebenso nachvollziehen. Jetzt aber landet der Physik-Nobelpreis wieder in der Grundlagenforschung, die häufig schnell sehr weltentrückt klingt.

Worum geht’s? Kurz und knapp: Es geht darum, dass Neutrinos, die zu den Elementarteilchen gehören und ganz schön wichtig für sehr viele Prozesse im Universum und auf der Erde sind, entgegen der etablierten Lehrmeinung doch eine Masse haben. Wenn man zwei Jahre zurückdenkt und sich noch an das Higgs-Teilchen erinnert, kann man schon vermuten, dass unter Physikern ein nicht zu vernachlässigender Teilchenphysikfetisch herrscht. CERN und so. Woran das liegt? Die Teilchenphysik schafft es auf Basis der Quantenmechanik, genau genommen der Quantenfeldtheorie, eine Beschreibung für sämtliche fundamentale Wechselwirkungen in der Natur zu finden, denen Elementarteilchen zugrunde liegen (das mit der Gravitation klappt bisher nicht so ganz…). Das sind nicht nur die starke und die schwache Wechselwirkung, die für die Kernkräfte und Zerfälle zuständig sind, sondern auch die elektromagnetische.

Ausgangspunkt der Teilchenphysik ist ein enormes Theoriekonstrukt, das experimentell extrem genau nachgewiesen ist: das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik. Dort wird alles erklärt: von den Elektronen, die zu den sogenannten Leptonen gehören, über die Quarks und Gluonen, die die Atomkerne aufbauen, bis hin zu den Neutrinos. Neutrinos sind dabei masselose Teilchen, die erstmals 1930 von Wolfgang Pauli postuliert wurden und seitdem viele Teilchenumwandlungsprozesse korrekt erklären konnten. Diese Prozesse unterliegen der sogenannten schwachen Wechselwirkung und finden sich zum Beispiel beim Beta-Zerfall wieder (siehe unser Kapitel zur Radioaktivität). Aber Moment…haben sie nun Masse oder nicht? Das Standardmodell behauptet Nein, und ist ansonsten ganz schön konsistent. Woher glaubt man nun also, dass das nicht stimmen könnte?

Neutrinos werden unter anderem bei Kernfusionsprozessen erzeugt, so auch in unserer Sonne. Dieser Prozess nennt sich pp-Zyklus, wobei schließlich zwei Wasserstoffatome zu einem Heliumatom fusionieren und über (sehr viel) längere Zeiträume auch schwerere Elemente entstehen. Dabei werden Elektron-Neutrinos frei. Mit dem sogenannten Homestake-Experiment zur Untersuchung solarer Neutrinos wurden aber viel weniger Elektron-Neutrinos beobachtet als vermutet. Das liegt nun daran, dass sich Elektron-Neutrinos auch in die beiden anderen Neutrinoarten (Tau- und Myon-Neutrinos) umwandeln können und zwischen diesen quantenmechanischen Eigenzuständen (siehe Kapitel Quantenmechanik im Buch) mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit hin- und her-oszillieren können. Diese Wahrscheinlichkeit legt schließlich auch eine Masse für die Neutrinos fest. Das bedeutet also, wenn etwas oszilliert, dann haben Neutrinos auch eine Masse. Das ist aus Sicht des Standardmodells natürlich höchst skandalös. Für den astrophysikalischen Neutrinonachweis gab’s schon mal (2002) einen Nobelpreis. Allerdings stand der genauere experimentelle Nachweis der tatsächlichen Oszillationen weiter aus. Das lieferten erst die beiden gestrigen Nobelpreisträger Arthur McDonald vom Sudbury Neutrino Observatory (Nachweis solarer Neutrinos) und Takaaki Kajita vom Super-Kamiokande Detektor in Japan (Nachweis atmosphärischer Neutrinos). Diese beiden Neutrinodetektoren befinden sich unter der Erde, um zunächst weitere Teilchenarten abzuschirmen. Der eigentliche Neutrinonachweis geschieht in diesen mit Wasser gefüllten Tanks über sogenannte Cherenkov-Strahlung. Neutrinos werden bei Wechselwirkung mit den Wassermolekülen zu einem Elektron und einem Proton, wobei das Elektron sich mit einer höheren Geschwindigkeit im Wasser bewegen kann als das für elektromagnetische Strahlung möglich ist. Das bedeutet, dass sich in diesem Medium die erzeugten Elektronen tatsächlich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen (was nicht verboten ist, solange sie sich langsamer bewegen als die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum). Dabei wird kegelförmig (ähnlich zum Machkegel bei der Schallgeschwindigkeit) Strahlung im blauen Bereich des sichtbaren Lichts frei. Diese Cherenkov-Strahlung wird schließlich von Photodetektoren registriert und es lassen sich die ursprünglichen Neutrinos rekonstruieren.

All diese mittlerweile außerordentlich gut gesicherten Erkenntnisse sind viel mehr als nur simple Beobachtungen. Sie stellen eines der wichtigsten Theoriekonstrukte der Physik in Frage und öffnen die Tür zu einem Bereich, den man kunstvoll noch „Neue Physik“ nennt. Also auf gut Deutsch das, wovon niemand eine Ahnung hat und womit sich auch der LHC am CERN beschäftigt. Vielleicht können die Eigenschaften massebehafteter Neutrinos sogar erklären, warum wir alle aus Materie und nicht aus Antimaterie bestehen.

Bis dahin an die beiden Laureaten: Gebt nicht alles auf einmal aus!

Das Buch ist da, der Trailer ist draußen

Endlich gibt es das Buch auch in Papierform!christoph_irre

Das Ebook war schon eine paar Wochen auf der Webseite des Springer-Verlags verfügbar, aber jetzt halten wir endlich die Papierausgabe in den Händen.

Zur Feier des Tages haben wir nun den Trailer zu unseren Videos hochgeladen.

Die einzelnen Videos schneiden wir zur Zeit und werden sie nach und nach hochladen, rechtzeitig zum Semesterstart. Wir versprechen euch: Euer Physikkurs wird nicht langweilig!

Updates dazu findet ihr auf unserer Facebook-Seite, auf YouTube und natürlich auch hier.

 

Webseite fertig, Videos im Kasten: Warten aufs Buch!

Wir drei haben den Sommer genutzt, um für euch die im Buch verlinkten Videos zu drehen; in diesen Videos seht ihr anschauliche Experimente, verschiedene Erklärungen zum Stoff und weiterführende Inhalte. Natürlich sind wir dabei so professionell, wie ihr uns kennt.

Jetzt sind wir dran, die Videos zu schneiden und auf unseren YouTube-Kanal zu laden. Der Trailer folgt in Kürze.

Wir warten natürlich selbst gespannt auf die gedruckten Bücher, die uns bald erreichen sollten.